G20-Entwicklungsagenda und die deutsche Präsidentschaft

Image: Globe as rubik's cubeDie bevorstehende G20-Präsidentschaft bietet der deutschen Entwicklungspolitik einmalige Chancen zur Gestaltung wichtiger internationaler Prozesse. Dabei geht es im Wesentlichen um das Voranbringen der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung; die Zusammenarbeit der G20 mit Afrika auf einem neuen Niveau; und die Überwindung der aktuellen Blockade zwischen „alten“ und „neuen“ Gebern. Vor allem die Development Working Group der G20 kann im Hinblick auf die Agenda 2030 den Austausch aktiv unterstützen. Die deutsche Präsidentschaft könnte dabei die Führung übernehmen.

Die Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer

Die bevorstehende G20-Präsidentschaft bietet der deutschen Entwicklungspolitik einmalige Chancen zur Gestaltung wichtiger internationaler Prozesse. Dabei geht es im Wesentlichen um drei Schwerpunkte: Erstens ist die Development Working Group der G20 verantwortlich dafür, die umfassende Umsetzung der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung voranzubringen. Zweitens will die deutsche Präsidentschaft die Zusammenarbeit der G20 mit Afrika auf ein neues Niveau heben. Und schließlich kann das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) entscheidend dazu beitragen, die aktuelle Blockade zwischen „alten“ und „neuen“ Gebern zu überwinden – mit dem Ziel, Entwicklungsländer bei der Verwirklichung der Ziele Nachhaltiger Entwicklung zu stärken.

Seit 2008 koordinieren die Staats- und Regierungsführungen der 19 mächtigsten Länder plus Europäische Union ihre Politik zur Stabilisierung der Weltwirtschaft in der so genannten G20. Seit dem südkoreanischen Gipfel 2010 zählt die internationale Entwicklungspolitik zum Kernbereich ihrer Treffen. Institutioneller Anker für dieses Thema ist die Development Working Group der G20. Sie bearbeitet wichtige entwicklungspolitische Anliegen. Beispielsweise die Stärkung von Klein- und Mittelunternehmen, berufliche Qualifizierung und Kostenreduzierung für Geldtransfers von Arbeitskräften in ihre Heimatländer.

Development Working Group und die Agenda 2030

Die jetzt auslaufende chinesische Präsidentschaft hat die Ausrichtung der G20 auf entwicklungsrelevante Themen verstärkt. So hat es China erreicht, dass die Mitgliedstaaten die Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung als übergreifenden Handlungsrahmen akzeptiert haben –  umfassender und konkreter als im Jahr zuvor auf dem türkischen Gipfel. Mit dem in Hangzhou verabschiedeten 2030-Aktionsplan hat die G20 außerdem das Mandat der Development Working Group erheblich ausgeweitet. Die Regierungsspitzen haben die Gruppe beauftragt, sämtliche Maßnahmen der G20 zur Agenda 2030 zu koordinieren. Dies umfasst gemeinsame und einzelstaatliche Aktivitäten auf drei Ebenen: Erstens geht es um den Strukturwandel in den G20-Ländern selber. Zweitens wollen die Mitgliedstaaten die globalen Rahmenbedingungen entwicklungsfreundlicher machen. Und drittens unterstützen sie die Entwicklungsländer direkt bei der Umsetzung der Agenda 2030.

Entwicklungspolitische Chancen für Deutschland

Auf der chinesischen Vorarbeit aufbauend, bieten sich für die im Dezember beginnende deutsche Präsidentschaft attraktive Handlungsmöglichkeiten. Im Hinblick auf die Agenda 2030 kann die deutsche Präsidentschaft in der Development Working Group entscheidende Weichen stellen. Ein zentrales Ziel hier wird es sein, die ambitionierten Beschlüsse von Hangzhou nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Zu diesem Zweck könnte die Development Working Group in Zukunft eine zweigeteilte Agenda aufsetzen. Der erste Teil bezieht sich auf die Dokumentation und Koordination von allen Aspekten der Agenda 2030 im G20-Kontext. Im zweiten Teil befasst sich die Gruppe dann mit entwicklungspolitischen Anliegen im engeren Sinn, beispielsweise mit der Kooperation mit Afrika und der direkten Unterstützung von Entwicklungsländern.

G20 und Afrika

Die Bundeskanzlerin hat Afrika bereits zu ihrer G20-Priorität im kommenden Jahr erklärt. Deutschland ist jetzt gefordert, konkrete Schritte für ein kollektives Handeln der G20 gegenüber dem Kontinent zu benennen – und zwar im Hinblick auf Prozess und Inhalt. Die Einfädelung der Initiative ist von ausschlaggebender Bedeutung für ihre langfristige Wirkung. Akteure aus dem Kontinent sollten von Beginn an als Mitgestalter und Mitverantwortliche gewonnen werden. Vorrangig geht es um die Stärkung der Afrikanischen Union – auch bei der institutionellen Ausgestaltung ihrer Kooperation mit ausländischen Partnern. Inhaltlich muss die G20-Agenda natürlich bei den afrikanischen Prioritäten ansetzen, beispielsweise Infrastruktur und Digitalwirtschaft, Landwirtschaft und Industrialisierung, Klimawandel und illegale Finanzströme. Um den Dialog zwischen G20 und Afrika zu befördern, wird der Think(T)20-Prozess unter Führung des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) und des Kiel Instituts für die Weltwirtschaft gemeinsam mit dem South African Institute of International Affairs Anfang Februar eine Konferenz mit afrikanischen Think Tanks in Johannesburg ausrichten.

Dialog über Nord-Süd- und Süd-Süd-Kooperation

Im dritten entwicklungspolitischen Handlungsfeld der deutschen Präsidentschaft steht die Überwindung der Kluft zwischen Nord-Süd- und Süd-Süd-Kooperation. Aus Sorge vor unüberbrückbaren Gegensätzen hat es die G20 Development Working Group bislang vermieden, Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der praktischen Entwicklungszusammenarbeit zu thematisieren. Tatsächlich unterscheiden sich die Ziele, Konzepte und Instrumente von „alten“ und „neuen“ Gebern grundlegend. So lehnen beispielsweise Brasilien, China und Indien politische Konditionalität ab und betonen den wechselseitigen Nutzen für Geber und Nehmer.

Die von Industrieländern und vielen Entwicklungsländern unterstützte Globale Partnerschaft für wirksame Entwicklungszusammenarbeit (GPEDC) stößt in wichtigen Schwellenländern weiterhin auf Ablehnung. Brasilien, China und Indien werden nach aktuellem Stand nicht an der GPEDC-Konferenz Ende November in Nairobi teilnehmen. Die häufig erwähnte Alternative, das Development Cooperation Forum der Vereinten Nationen, fristet ein Schattendasein aufgrund mangelnder Unterstützung aus Nord und Süd.

Die Hoffnung liegt auf der Development Working Group

Die fehlende Verständigung  – teilweise sogar Rivalität – zwischen Nord-Süd- und Süd-Süd-Zusammenarbeit erschwert die Erreichung der Ziele Nachhaltiger Entwicklung in den ärmeren Ländern. Nur der Development Working Group der G20 kann es gelingen, den jetzigen Zustand der Nicht-Kommunikation zwischen Nord-Süd- und Süd-Süd-Kooperation zu überwinden. Die deutsche Präsidentschaft könnte hier die Führung übernehmen und einen produktiven Erfahrungsaustausch in die Wege leiten.

Dabei wären folgende Voraussetzungen zu beachten: Es darf nicht um Vergleich und Bewertung der unterschiedlichen Modelle gehen. Weder im Hinblick auf das Volumen der Entwicklungsleistungen noch bezüglich Wirkung und Qualität. Westliche und südliche Konzepte müssen in ihrer Unterschiedlichkeit anerkannt werden, ohne Druck zur Anpassung und Harmonisierung aufzubauen. Dabei empfiehlt sich ein Vorgehen, das mit politisch unstrittigen Sektoren beginnt, beispielsweise Gesundheit und Bildung. Neben den Regierungsapparaten könnten Forschungs- und Durchführungsorganisationen wichtige Beiträge für Erfahrungsaustausch und gemeinsames Lernen leisten. Das vom BMZ geförderte DIE-Netzwerk „Managing Global Governance“ (MGG) mit Partnern aus den großen Schwellenländern hat hier bereits wichtige Vorarbeiten erbracht.

Dank des hohen Ansehens ihrer Entwicklungszusammenarbeit in der Welt ist die deutsche Präsidentschaft dazu prädestiniert, die entwicklungspolitische Agenda der G20 entscheidend voranzubringen.

Image: Thomas Fues

Thomas Fues ist Ökonom und Leiter der Abteilung "Ausbildung" am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE)

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