TOSSD – eine gute Sache?

Image: Zollstock offen

TOSSD-eine neue Messgröße

Mit der „Addis Ababa Action Agenda“ (2015) wurde sichtbar, dass zur Erreichung der kurz danach verabschiedeten neuen Weltentwicklungsziele Finanzmittel in einem nie dagewesenen Umfang benötigt werden. Die Botschaft ist klar: Alle müssen nach ihren Möglichkeiten dazu beitragen, die ambitionierte SDG-Agenda zum Erfolg zu führen. Deswegen wurde in Addis vereinbart, ergänzend zur ODA eine neue Messgröße einzuführen, der „Total Official Support for Sustainable Development“. Jedoch hat man sich in Addis nicht verständigt, was alles in TOSSD enthalten sein muss, geschweige denn, wer diese Messgröße definieren soll. Dies bringt einige Gefahren mit sich.

Ein Wandel für die Entwicklungszusammenarbeit

Mit der Konferenz von Addis Abeba wurden im Juli 2015 die Verhandlungen über eine neue globale Entwicklungsfinanzarchitektur und die „means of implementation“, also die Umsetzungsmodalitäten zu den neuen Weltentwicklungszielen (SDGs) erfolgreich abgeschlossen. Im Mittelpunkt des Abschlussdokuments, der „Addis Ababa Action Agenda“ (AAAA), stand die Erkenntnis, dass zur Erreichung der kurz danach verabschiedeten neuen Weltentwicklungsziele Finanzmittel in einem nie dagewesenen Umfang benötigt werden würden. Zugleich brachte die AAAA einen Abschied vom Nord-Süd-Denken. Während zuvor staatliche Finanztransfers aus Industrieländern in Schwellenländer im Mittelpunkt der Betrachtungen standen, enthielt die Erklärung von Addis eigene Kapitel zur stärkeren Mobilisierung eigener Steuereinnahmen durch die Regierungen der Entwicklungsländer, zur besseren Mobilisierung privater Investitionen sowie zum Ausbau von Handel und Technologietransfer. Auch die wachsende Bedeutung von Süd-Süd-Kooperation wurde mehrfach erwähnt.

Die Botschaft ist klar: Alle müssen nach ihren Möglichkeiten dazu beitragen, die ambitionierte SDG-Agenda zum Erfolg zu führen. Die klassischen Geber waren damit aufgerufen, ihre Mittel künftig stärker katalytisch einzusetzen, d.h. Schwerpunkte auch dort zu setzen, wo mit staatlichen Entwicklungsgeldern Steuerverwaltungen befähigt, private Investitionen generiert, Handel und Technologietransfer promoviert oder über Dreieckskooperationen Süd-Süd-Kooperationen gestärkt werden können.

Wie sollen Entwicklungsprojekte künftig gemessen werden?

Dieses neue Rahmenwerk wirft geradezu zwangsläufig die Frage auf, wie künftig gemessen werden soll, welche Beiträge welcher Akteure in welchem Umfang zur Erreichung der SDGs beitragen. Die klassische öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) bildet dies schon deswegen nur sehr unzureichend ab, weil sie allein auf die Leistungen der Industriestaaten fokussiert ist und nicht erfasst, was die Zusammenarbeit zwischen südlichen Akteuren beiträgt. Auch ist die ODA-Definition vielfach sehr eng gefasst. In aller Regel muss die Entwicklung des Partnerlandes der Hauptzweck eines Vorhabens sein. Dort wo Aktivitäten zwar auch auf die Erreichung der SDGs einzahlen, jedoch ein anderes Movens im Mittelpunkt steht – im Handelsbereich etwa – erfolgt in aller Regel keine Anrechnung als ODA.

Eine neue Messgröße, mehrere ungeklärte Fragen

Deswegen wurde in Addis vereinbart, ergänzend zur ODA, die natürlich weiterhin der wichtigste Standard für Industriestaaten bleiben wird, eine neue Messgröße einzuführen – etwas umständlich als „Total Official Support for Sustainable Development“ bezeichnet und mit TOSSD abgekürzt. Jedoch hat man sich in Addis nicht verständigt, was alles in TOSSD enthalten sein muss. Noch wurde Einigkeit erzielt, wer diese Messgröße definieren soll. Bislang wird die Ausarbeitung der Details vom Entwicklungsausschuss der OECD vorangetrieben, der auch für die ODA-Definition verantwortlich ist. Dies bringt zwei Gefahren mit sich:

Erstens ist die OECD in den Augen vieler Entwicklungsländer noch immer der „Club der Industriestaaten“, dem man mit grundsätzlicher Skepsis begegnen müsse. Die G 77 neigen daher dazu, selbst solche Produkte der OECD abzulehnen, die inhaltlich mit G 77-Positionen vereinbar wären. Rein prozedural kann ein allein von der OECD getriebenes Verfahren daher kaum zum Erfolg führen. Will man diese Klippe überwinden, wird es erforderlich sein, die Verhandlungen bald auf VN-Ebene zu heben. Auch wenn die Verhandlungsgeschwindigkeit der Vereinten Nationen und die zwischen den unterschiedlichen Ländergruppen im New Yorker Setting zu beobachtenden Verhaltensmuster einen schnellen Durchbruch kaum erwarten lassen. Zumal die Sekretariate und Unterorganisationen der Vereinten Nationen nicht über das Know-how verfügen, um valide Vorschläge zur statistischen Erfassung von Finanzströmen zu erarbeiten. Hier wird man einen Modus finden müssen, in dem der Sachverstand der OECD einbezogen werden kann, ohne die OECD als Treiber des Prozesses erscheinen zu lassen. Keine leichte Aufgabe.

Zweitens, und das wiegt noch schwerer, sind die Geber des Südens wenig geneigt, die Süd-Süd-Kooperation einer statistischen Messung zu unterziehen. Seit Jahren wird bereits debattiert, ob für Süd-Süd-Zusammenarbeit eine Definition mit klaren Kriterien aufgestellt werden kann, ähnlich der ODA-Definition der Industriestaaten. Die derzeitige Praxis ist eher die, dass Süd-Süd-Kooperation alles ist, was ein Financier dazu erklärt. Kritiker fragen daher mit Recht, wie man ohne Kriterien festlegen könne, welche Vorhaben ein hinreichendes Maß als Altruismus aufweisen, um sie als Entwicklungsprojekte einordnen zu können. Welche Formen der Zusammenarbeit sind vielleicht nur simpler Warenaustausch, z.B. im Bereich Rohstoffsicherung?

Vielfach werden südliche Geber kritisiert, in als Süd-Süd-Kooperation deklarierten Projekten Niedrigeinkommensländer lediglich ihrer natürlichen Ressourcen zu berauben, ohne langfristige Entwicklungseffekte anzustreben oder die ökologische Nachhaltigkeit im Auge zu behalten. So stehen die Südländer vor einem Dilemma: Jedwede Definition von „Spielregeln“ würde entweder Anlass zu Kritik geben, dass diese zu weich gefasst seien. Oder es würde mit härteren Kriterien viel heiße Luft aus dem Ballon der vermeintlichen entwicklungsförderlichen Zusammenarbeit zwischen den Staaten des Südens gelassen.

Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Auch eine neue Messgröße TOSSD stellte die südlichen Geber vor diese unangenehme Alternative. Deswegen wird bislang die Einbeziehung der Beiträge der Süd-Süd-Kooperation in TOSSD von den Schwellenländern hintertrieben. Viele der klassischen Geber sehen hierin sogar ein Bemühen der Schwellenländer, Addis nachzuverhandeln und wieder exklusiv auf die überkommenen Nord-Süd-Finanzierungsmechanismen zu rekurrieren. Egal ob dies induziert ist oder nicht – eine TOSSD-Definition, die wieder nur Finanzströme aus den klassischen Industrieländern in die auf der OECD-Liste aufgeführten Entwicklungsländer mäße, wäre ein politischer Abschied vom neuen Geist der gemeinsamen Verantwortung der Weltgemeinschaft und eine Abkehr von der Universalität der SDG. Damit wäre sie für die Industrieländer inakzeptabel.

Nutzen von TOSSD für die SDG’s

Dies alles zeigt: Es ist noch sehr ungewiss, ob eine Einigung über TOSSD erzielt werden wird. Dabei wären die Addis Agenda und die SDGs eigentlich hervorragende Ansatzpunkte für ein solch neues statistisches Rahmenwerk. Jede öffentliche Investition, die grenzüberschreitende Finanztransfers in Entwicklungsländer generiert, könnte unter TOSSD daraufhin untersucht werden, ob und in welchem Umfang sie die Erreichung der SDGs fördert. Nur dieser entwicklungswirksame Teil der Aufwendungen wäre dann als TOSSD zu rechnen.

Zugegeben, in der Praxis dürfte dies nicht so leicht umzusetzen sein, wie es in der Theorie klingt, doch hat die OECD mit ihrem neuen Ansatz zur Anrechnung nur noch der Schenkungselemente (Zuschussäquivalente) von Entwicklungskrediten auf die ODA-Quote bewiesen, dass es möglich ist, zu Rechenmodellen zu kommen, die kommerzielle und altruistische Elemente von Finanzflüssen sauber trennen. Für die Staatengemeinschaft wird es mittelfristig eine Frage der Glaubwürdigkeit sein, dies auch für alle anderen Finanzflüsse zu erreichen. Alle, denen es ernst ist mit den Versprechen aus New York und Addis, müssen auch zulassen, dass gemessen wird, was sie konkret zur Umsetzung dieser Zusagen unternehmen.

Image: Dominik Ziller

Dominik Ziller leitet im BMZ die Unterabteilung globale Prozesse und ist dort unter anderem auch für das Thema Entwicklungsfinanzierung zuständig.

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