Compact with Africa, Marshallplan und Co: ein gefährlicher Paradigmenwechsel der deutschen Entwicklungspolitik

Image: holzweg

Leere Versprechungen, irreführende Behauptungen

Lassen wir uns durch die Rekordwerte des BMZ-Etats und die steigende ODA-Quote Deutschlands nicht in die Irre führen: die deutsche Entwicklungspolitik erlebt derzeit einen Rückschlag nach dem anderen. Nicht nur wird die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) vor den Karren der menschenverachtenden Flucht- und Migrationsabwehr gespannt. Ebenso besorgniserregend ist, dass es zunehmend zu einer Neudefinition der Entwicklungspolitik kommt.

So hat Entwicklungspolitik in den jüngsten Afrikainitiativen der Bundesregierung primär die Aufgabe, günstige Rahmenbedingungen für Privatinvestitionen zu schaffen. Der entwicklungsförderliche Nutzen solcher Investitionen ist jedoch höchst fragwürdig. Zudem bleiben Menschenrechte und Demokratie zusehends auf der Strecke. Wie meinte etwa Günter Nooke, Afrikabeauftragter der Bundesregierung, vor kurzem bei einer Podiumsdiskussion: Demokratie werde einfach überschätzt.

Freie Bahn für das Kapital

Es spricht Bände, dass der elaborierteste „entwicklungspolitische“ Plan der Bundesregierung derzeit aus dem Finanzministerium, und nicht dem Entwicklungsministerium, kommt. Während Mülllers „Marshallplan mit Afrika“ vor allem aus einer Aneinanderreihung von leeren Versprechungen und irreführenden Behauptungen besteht, haben Wolfgang Schäuble und sein Chefökonom Ludgar Schuknecht eine klare Vision, die noch dazu mit den wichtigen internationalen Finanzinstitutionen wie Weltbank und IWF abgesprochen ist: afrikanischen Staaten sollen zu Investor freundlichen Regimen umgebaut werden. Der „Compact with Africa“ schielt dabei vor allem auf eine spezielle Art von Investoren: institutionelle Anleger. Versicherungen, Pensionskassen etc. sollen dabei helfen, einen Engpass der wirtschaftlichen Entwicklung Afrikas zu beheben: fehlende Infrastruktur im Energiebereich, im Verkehrssektor oder bei der Wasserwirtschaft.

Seit einigen Jahren geht der ehemalige Leiter der Forschungsabteilung der Weltbank, Paul Collier, mit der Idee hausieren, dass institutionelle Anleger die geeigneten Financiers für diese Infrastrukturprojekte wären. Denn diese hätten in den USA und Europa aufgrund der niedrigen Zinsen ohnehin große Schwierigkeiten, ihre hohen Renditeerwartungen zu erfüllen. Deswegen bestehe die Aufgabe der Entwicklungspolitik darin, das Geld dieser Anleger nach Afrika zu lotsen. Wie? Indem die öffentliche Hand die Renditeerwartungen der Investoren absichert – durch die Schaffung der richtigen politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen in den Entwicklungsländern ebenso wie durch Risikoabsicherungen. Im Ergebnis werden Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert.

Wer sich den „Compact with Africa“ genau durchliest, der findet dort eine Mischung der krudesten neoliberalen Ideen und Instrumente der letzten Jahrzehnte:

  • Strukturanpassungsprogramme sollen die Ausgaben der afrikanischen Staaten insbesondere im Sozialbereich drastisch reduzieren und damit angeblich zu makroökonomischer Stabilität beitragen.
  • Die Kommerzialisierung öffentlicher Dienstleistungen, das heißt, die Privatisierung der Daseinsvorsorge, zielt ebenfalls auf die Reduktion der Staatsausgaben und soll gleichzeitig dem Kapital neue Verwertungsmöglichkeiten schaffen.
  • „Neutrale“ Schiedsgerichte sollen sicherstellen, dass Investoren ihre Interessen auch gegen politischen Widerstand – etwa nach Regierungswechseln – durchsetzen können.

Diese Vorschläge des „Compacts with Africa“ passen gut zu den wirtschafts- und finanzpolitischen Vorstellungen der Bundesregierung, und insbesondere von Finanzminister Schäuble. Ein Finanzminister, der auch in Deutschland Erhalt und Ausbau der Infrastruktur zunehmend an Private abgeben möchte – Stichwort: Autobahnprivatisierung. Und sie passen auch gut zum Agenda 2030-Diskurs der Bundesregierung, der der Privatwirtschaft eine herausragende Rolle bei der Erreichung der SDGs zuschreibt. Die Aufgabe von Entwicklungspolitik besteht in diesem Diskurs vor allem darin, privates Kapital zu mobilisieren.

G20-Afrikakonferenz in Berlin: Brautschau für Investoren

Im Rahmen des Compacts wollen Deutschland und andere G20-Staaten afrikanische Länder deshalb zum einen dabei unterstützen, politische und ökonomische Reformen auf den Weg zu bringen – „Reformpartnerschaften“ nennt das Entwicklungsminister Müller. Wie gering hierbei der Stellenwert demokratischer Reformen ist, zeigt sich daran, dass die Militärdiktatur in Ägypten im Marshallplan als Reformland aufgeführt wird und das autokratische Regime in Äthiopien in die Reihe der Compact-Länder aufgenommen wird.

Zum anderen sollen öffentliche Gelder die privaten Investitionen in afrikanischen Länder attraktiver machen – indem sie lukrative Fondsstrukturen schaffen, Garantien leisten oder andere Instrumente zur Risikoabsicherung schaffen. Entwicklungsgelder als Hebel und Absicherer von Privatinvestitionen – Willkommen in der Entwicklungszusammenarbeit des 21. Jahrhunderts.

Genau diese Ideen stehen auch im Zentrum der G20-Afrikakonferenz, zu der Entwicklungsminister Müller und Finanzminister Schäuble am 12. und 13. Juni in Berlin einladen. Ausgewählte afrikanische Staaten bekommen dort die Möglichkeit, sich wie bei einer Brautbeschau potentiellen Investoren zu präsentieren und mit politischen und wirtschaftlichen Reform sowie konkreten Investmentplänen zu umgarnen.

Denn der „Compact with Africa“ und der Marshallplan sind in Wirklichkeit auch kein Angebot für ganz Afrika. Vielmehr sollen einzelne, in den Augen von Schäuble und der Weltbank besonders tüchtige und reformbereite Länder in die Compact-Initiative aufgenommen werden und in diesem Rahmen dann um die Gunst der Investoren buhlen.

Von Risiken und Nebenwirkungen …

Es grenzt schon an staatlich geförderte Prostitution, was hier im Rahmen der deutschen G20-Präsidentschaft passiert. Und es ist für die afrikanischen Länder aus zumindest fünf Gründen brandgefährlich:

  1. Ein zentrales Problem des afrikanischen Kontinents sowie dessen Ländern ist die extreme Ungleichheit. Doch die Afrikainitiativen der Bundesregierung greifen dieses Problem in keinster Weise auf. Im Gegenteil: Anstatt zu einer gerechteren Verteilung von Reichtum beizutragen, unterstützt eine Entwicklungspolitik, die sich primär als Partner von Anlegern und Unternehmen versteht, eine weitere Umverteilung von unten nach oben – etwa, da sie die hohen Renditeerwartungen der Unternehmen mit öffentlichen Geldern absichert.
  2. Nicht nur die gesamtgesellschaftliche Ungleichheit, auch die Ungleichheit zwischen den afrikanischen Ländern wird durch sogenannte Reformpartnerschaften und die Belohnung von Reform-Champions befeuert. Dies steht den oft beschworenen Bestrebungen nach einer regionalen wirtschaftlichen Integration diametral entgegen.
  3. Zudem droht der Wettbewerb zwischen den afrikanischen Staaten um bessere Investitionsbedingungen einen weiteren race to the bottom auszulösen. Wenn die Aufgabe der Politik primär darin gesehen wird, Investitionsanreize zu schaffen, drohen andere Aufgaben der Politik – soziale, demokratiepolitische, menschenrechtliche – unter den Tisch zu fallen. Genau diese Aufgaben müssen aber gerade im afrikanischen Kontext Priorität haben, um Verbesserungen für das Leben der Menschen zu schaffen.
  4. Mittelfristig droht durch eine Infrastrukturpolitik, die insbesondere auf private Investoren baut, soziale Exklusion und eine weitere Schuldenspirale – das gilt für Deutschland ebenso wie für afrikanische Länder. Denn zahlen müssen die Rendite, die sich Investoren im Verkehrs-, Energie- oder Wasserbereich erwarten, letztendlich die Konsumenten durch Nutzergebühren oder die Staaten durch die Aufnahme neuer Schulden.
  5. Bisherige Erfahrungen mit großen Infrastrukturprojekten in Afrika haben gezeigt, dass die Durchführung solcher Megaprojekte oft zulasten lokaler wirtschaftlicher Akteure geht. Denn diese Projekte sind meist an den Bedürfnissen der Geldgeber sowie großer Konzerne, die diese Infrastruktur nutzen wollen, ausgerichtet, nicht an den Bedürfnissen lokaler Akteure. Deren Handlungsspielräume werden bei solchen Megaprojekten oft eingeschränkt werden, wie unzählige Fälle von landgrabbing belegen.

Wenn manche Vertreter der EZ-Community die derzeitigen Afrikainitiativen der Bundesregierung mit den Worten kommentieren, wenigstens spiele Afrika jetzt wieder eine Rolle in der deutschen Politik, kann ich nur den Kopf schütteln. Denn diese Initiativen sind nicht halbrichtig, sie sind grundfalsch und völlig ungeeignet, die großen Probleme der afrikanischen Länder – wie Ungleichheit, Armut, Hunger, militärische Konflikte – zu lösen.

Image: niema mossavat

Niema Movassat (DIE LINKE) ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages und seit 2013 Obmann der Fraktion DIE LINKE im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie Sprecher für Welternährung.

1 comment

  1. Pingback: Fluchtgrund | Warum deutsche Entwicklungskonzepte mit Afrika Augenwischerei sind

Leave Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert