Migration und Entwicklung durch Entwicklungszusammenarbeit gestalten!

Image: Wurzeln

Über die „Root Cause“-Agenda hinaus

Migration ist momentan ein hochaktuelles Thema in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (EZ). Anders als bei den Millennium Development Goals, ist Migration ein wichtiger Bestandteil der neuen globalen Entwicklungsagenda 2030, zu welcher sich Deutschland verpflichtet hat. Des Weiteren hat durch die Migrationsentwicklungen der letzten Jahre das Thema der Reduzierung von Flucht- und irregulärer Migrationsursachen („root causes“) noch mehr an Bedeutung gewonnen. Deutschland hat dafür in den kommenden Jahren zusätzliche EZ-Mittel zur Verfügung gestellt.

Auf globaler Ebene haben dieses Jahr Verhandlungen für einen „Global Compact on Migration“ und einen weiteren zu Flucht (Global Compact on Refugees) begonnen. Dieser wichtige Prozess soll die Eckpunkte für eine globale Migrationsagenda herausarbeiten. Deutschland hat außerdem zusammen mit Marokko den Vorsitz des „Global Forum Migration und Entwicklung“ (GFMD) 2017 und 2018 inne, welches konkrete Lösungen auch für die beiden „UN Global Compacts“ erarbeiten soll.

Welche Rolle spielt die Entwicklungspolitik im Bereich Migration? Welche Risiken gibt es?

Die deutsche Entwicklungspolitik kann in der Tat einen wichtigen Beitrag leisten, um Partnerländer dabei zu unterstützen, die migrationsrelevanten Ziele der Agenda 2030, insbesondere Sustainable Development Goal (SDG) 10.7 („Eine geordnete, sichere, reguläre und verantwortungsvolle Migration und Mobilität von Menschen erleichtern, unter anderem durch die Anwendung einer planvollen und gut gesteuerten Migrationspolitik“) zu erreichen. Jedoch birgt die dominierende Zielsetzung der letzten Jahre, das „Ausmaß irregulärer Migration und Flucht weltweit spürbar zu begrenzen“ sowie die prinzipielle Koppelung von EZ an Rückführungen auch Risiken für die Durchführung deutscher und europäischer Entwicklungskooperation.

Migration und Mobilität sind ein inhärenter Teil globaler und lokaler Transformations- und Entwicklungsprozesse. Generell bedeutet Migration für viele Menschen die Chance auf eine Verbesserung der Lebensumstände. Es bestehen daher einige Risiken, wenn – wie momentan der Fall – kurzfristige innen- und sicherheitspolitische Ziele die Entwicklungszusammenarbeit im Bereich Migration dominieren.

Durch die Migrations- und Flüchtlingssituation ist die Art und Weise, wie sich Entwicklungskooperation mit Migration und Entwicklung beschäftigt, aus der Balance geraten: mehr Aufmerksamkeit wird den eher negativen Aspekten bzw. Folgen, wie beispielsweise der Bekämpfung des Menschenschmuggels und der Reduzierung ungewollter Formen der Migration durch besseres Grenzmanagement, gewidmet. Darüber hinaus liegt das Augenmerk auf der Gewährung von Schutz in angrenzenden Regionen. Obwohl diese Aspekte wichtig sind, sollten längerfristige Themen, wie z.B. die Gestaltung und Förderung von legaler Migration sowie die zukünftige Gestaltung von Mobilität und auch die aktive Unterstützung von sicheren Migrationswegen, nicht außer Acht gelassen werden.

Der große politische Druck, schnelle Erfolge sowohl bei der Reduktion der Ankunftszahlen als auch bei der Erhöhung von Rückführungen aus Deutschland und Europa zu erreichen, hat zu einer teilweisen Unterordnung der Entwicklungszusammenarbeit unter innenpolitische Migrationsziele geführt. Diese Ziele sind jedoch nicht immer mit den Zielen der Entwicklungszusammenarbeit, Armut zu reduzieren und Stabilität zu fördern, in Einklang zu bringen. So mehren sich beispielsweise Bedenken, dass die Unterbindung der irregulären Migration durch kurzfristige und sicherheitspolitisch gelenkte Maßnahmen, wie z.B. in Libyen, Niger oder Mali langfristig zu mehr Instabilität und Unsicherheit führen kann, wenn Erkenntnisse zur lokalen politischen Ökonomie nicht adäquat in das Design der EZ-Programme einfließen. Dies ist besonders dann der Fall, wenn der Druck des schnellen Handelns so hoch ist, dass Analysen und Qualitätssicherungsfragen in der EZ zu kurz kommen.

Über die „Root Cause“-Agenda hinaus – Neue Chancen für die EZ

Welchen Beitrag kann die EZ in den nächsten Jahren leisten, um der Vision der Agenda 2030 für Migration näher zu kommen?

Zunächst sollten sich die Narrative zu Entwicklung und Migration wieder offener gegenüber den positiven Aspekten der Migration zeigen. Migrations- und Populationsdynamiken können auch als Chance gesehen werden und Wege für Innovation öffnen. Beispielsweise bieten Flüchtlingssituationen in Entwicklungsländern Möglichkeiten für Stadt- und Infrastrukturentwicklung sowie für Investitionen. Die EZ kann hier eine vermittelnde Rolle übernehmen. Über die Logik der Minderung irregulärer Migrations- und Fluchtursachen hinaus, sollte auch aktiv die Schaffung von regulären und sicheren Wegen der Mobilität unterstützt werden. Nur so können die Ziele der Agenda 2030 im Bereich Migration erreicht werden.

Nicht alle Programme zur Unterstützung von Kapazitäten in Partnerländern im Bereich Migration haben eindeutig entwicklungsrelevante Ziele. Die globalen Prozesse bieten eine gute Gelegenheit, mehr Klarheit zu schaffen und Leitlinien oder Prinzipien zu entwickeln, an welchen sich die EZ orientieren kann. Wenn es beispielsweise um die Rolle der EZ bei der Rückführung und Reintegration geht, gibt es momentan kein klares Verständnis, wie erfolgreiche Reintegration im Sinne von Entwicklung auszusehen hat. Leitprinzipien sowie verstärktes Monitoring und Evaluierung können helfen, solche Programme effektiver zu machen und besser im Sinne von lokaler Entwicklung zu gestalten. Die Konditionierung von Entwicklungszusammenarbeit, um Rückführungszahlen zu erhöhen, scheint nicht effektiv und unterminiert dabei die eigentlichen Ziele von EZ. Eine solche Koppelung wurde daher im Bericht von Peter Sutherland (UN Special Representative on Migration) als „kurzsichtig und falsch bezeichnet“.

Letztlich muss man sich verstärkt über die globale Finanzierung im Bereich Migration Gedanken machen. Bedarf es beispielsweise eines gemeinsamen globalen Fonds, um Kapazitäten im Bereich Migrationsmanagement aufzubauen, da eine geordnete Migration auch ein kollektives Gut darstellt? Lässt sich eine effektive und eigenständige Finanzierung von Migrationsthemen erreichen, ohne automatisch EZ-Gelder abzuziehen?

Deutschland kann hier Lösungsansätze zu solchen Fragen voranbringen, welche eine weitgefasste Migrations- und Entwicklungsagenda im Sinne der Agenda 2030 unterstützen. Die Erwartungen an Deutschland als Einwanderungsland, sich für ambitionierte Resultate in globalen Prozessen einzusetzen, sind groß.

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Anna Knoll leitet das Forschungsprogramm “Migration” des European Centre for Development Policy Management (ECDPM) in Maastricht. Themenschwerpunkte: Entwicklungszusammenarbeit, Wirtschaftspolitik, Migration und Handel.

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Noemi Cascone ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des European Centre for Development Policy Management (ECDPM) in Maastricht. Themenschwerpunkte: Migration und der Migrationspolitik der EU.

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