Entwicklungszusammenarbeit: Reform an Kopf und Gliedern tut Not

Image: Operationsbesteck

Reform an Kopf und Gliedern

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit (EZ) steht vor der Notwendigkeit, zu strategischem Handeln zurückzufinden und sich weniger politischen Konjunkturen unterzuordnen. Die Folgen einer fehlgeleiteten Fixierung auf die innenpolitische Debatte und die Ausrichtung der EZ auf deren Prioritäten ist am Beispiel des von Bundesminister Müller betonten Beitrags der EZ zur Fluchtursachenbekämpfung zu besichtigen. Auch wenn inzwischen das „wording“ ein wenig herabgestuft wurde und nun von deren Minderung gesprochen wird, so ist doch der Mehrzahl der Beobachter klar, dass hier mehr versprochen wird als gehalten werden kann.

Die EZ begibt sich in den Teufelskreis, selbst überzogene Ansprüche an die eigene Leistungsfähigkeit zu postulieren und damit in den Sog dieses Erwartungmanagements zu geraten, der das gesamte Politikfeld in den Strudel einer überbeanspruchten und überforderten Verwaltung politischer Vorgaben und Versprechungen bringen könnte. Die EZ steht erneut vor einer selbst geschaffenen „Omnipotenzfalle“, eine Überprüfung ist daher am Beginn einer neuen Legislaturperiode dringend notwendig, um das gesamte Politikfeld organisatorisch und inhaltlich neu aufzustellen.

Die Selbstüberforderung der EZ

Neben der Selbstüberschätzung ihrer eigenen Leistungsfähigkeit sind in der auslaufenden Legislaturperiode die Grenzen des Managementmodells des BMZ deutlich hervorgetreten: Das erlangte Ausgabenplus im BMZ-Etat ist Ausdruck der wachsenden globalen Herausforderungen, jedoch weniger der entsprechenden Handlungskompetenzen des zuständigen Ressorts. Der Aufwuchs der Haushaltsansätze – traditionell als Erfolgsindikator des jeweiligen Ministers interpretiert – erweist sich zunehmend als Bummerang. Mit der Einführung der drei Sonderinitiativen „Eine Welt ohne Hunger“, „Fluchtursachen bekämpfen, Flüchtlinge reintegrieren“ und „Stabilisierung und Entwicklung Nordafrika-Nahost“ sowie des jüngst lancierten „Marshallplans mit Afrika“ mit mehr als 100 Eckpunkten hat die Leitung des BMZ nicht nur versucht, politische Zeichen für ihre Amtsführung zu setzen. Sie hat gleichzeitig durch den Rückgriff auf das Instrument von „Sonderinitiativen“ erkennen lassen, dass die vorhandene Struktur der Projektabwicklung angesichts ihrer sektoralen Versäulung zunehmend an der eigenen Leistungsgrenze angelangt ist, und hat eine Parallelstruktur geschaffen.

Doch auch dieses Vorgehen vermag nicht zu verdecken, dass die Bearbeitungsressourcen des eigenen Hauses und der Durchführungsorganisationen erschöpft sind. Die zusätzlich noch lancierten Programme des Ministers, wie das Textilbündnis oder die Grünen Informationszentren, entbehren weithin ebenso einer soliden Vorbereitung wie auch der Absicherung im Sinne einer erwartbaren Strukturwirksamkeit und nachhaltiger Wirkungen. Schnelle Projektanbahnung und -abwicklung sowie reichlicher Mittelabfluss gewinnen die Oberhand über die notwendigen Formate der Beteiligung von Projektpartnern und die Beobachtung des konkreten Projektumfeldes.

Die Dominanz der Durchführungsorganisationen

Mit ihrer Selbstüberforderung steuert die amtliche EZ das deutsche Süd-Engagement immer stärker in eine Sackgasse: Aufgrund der begrenzten eigenen Steuerungsressourcen wird den Mittler- und Durchführungsorganisationen in der Projektarbeit de facto eine nachgelagerte Kohärenzbildungsaufgabe vor Ort zugewiesen, die eigentlich eine politische Leitungsverantwortung wäre. Die an die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) abgeflossene bzw. ausgelagerte Fachlichkeit gestattet dem Ministerium keine angemessene Vertretung inhaltlicher Schwerpunkte durch eigene Mitarbeiter, ganz zu schweigen von der fachlichen Zusammenarbeit mit anderen Ressorts. Der Rückgriff auf die in der GIZ oder auch der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) angesiedelte Fachlichkeit hat – im besten Fall – zu einer gegenseitigen Abhängigkeit geführt, großteils erscheint es jedoch eher so, als ob der „Schwanz mit dem Hund wedelt“, die GIZ also in sehr viel stärkerem Maße auf das Ministerium einzuwirken weiß als umgekehrt.

Diese erfolgreiche „Umarmungsstrategie“ gegenüber ihrem wichtigsten Auftraggeber, das eigene Selbstverständnis als „Bundesbehörde“ und als international führender EZ-Leister haben ein Ausmaß angenommen, das sich jenseits eines gesunden Formats der Zusammenarbeit bewegt. Dieses Ungleichgewicht gilt es zu bereinigen und jene politischen Steuerungs- und Vertretungsaufgaben wieder in das Ministerium zurückzuholen, die stillschweigend an eine demokratisch nicht legitimierte GmbH abgetreten wurden.

Das BMZ ist ein Anachronismus

Das 1961 geschaffene Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ist heute nicht mehr das geeignete Format, um die transversale Dimension der Nachhaltigkeitsziele (SDGs) umsetzen zu können. Es entspricht organisatorisch dem Zuschnitt der Entwicklungshilfe vergangener Jahre und wird den sich wandelnden Bedingungen einer komplexen internationalen Realität mit neuen Akteuren und Themen, regionalen und transregionalen Machtverschiebungen und transnational stark zirkulierenden Wissensbeständen nicht mehr gerecht. Weiterhin werden Programme aufgesetzt, die eher dem Interesse eines flag waving für die deutsche EZ entsprechen als der notwendigen Vernetzung von Anstrengungen verschiedener Geber.

Die Delegation des Wissensmanagements in Sektorprogramme entkleidet das Ministerium eines der zentralen Elemente zur Bewahrung seiner Fachlichkeit. Zudem schwinden die Existenzbedingungen der EZ als eigenständiges politisches Handlungsfeld. Dies ist nicht zuletzt durch die SDGs bedingt, die keine ausschließliche Süd-Dimension mehr besitzen und auf eine integrale Perspektive von Nachhaltigkeit im globalen Maßstab setzen. Das BMZ ist in der Ressortkonkurrenz für die Umsetzung der SDGs zu schwach aufgestellt und entbehrt der notwendigen Instrumente, um seinem Auftrag den notwendigen Durchschlag verleihen zu können.

Ein Nationaler und Globaler Nachhaltigkeitsfonds

Daher erscheint es sinnvoller, das BMZ aufzulösen und ein neues Format des Regierungshandels in Gestalt eines unter einem Dach fungierenden Nationalen und Globalen Nachhaltigkeitsfonds mit Kabinettsrang zu gründen. Zentrales Ziel dieser Fondskonstruktion sollte es sein, Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele zu vereinen und diesen auch national größere Wirksamkeit zu verleihen als dies mit dem jetzigen Staatssekretärsausschuss für nachhaltige Entwicklung gelingen kann. Dafür sind in Gestalt des Fonds bessere Bedingungen gegeben, um starre Ressortgrenzen durch Abordnung aus anderen Ressorts in die Fonds-Struktur zu überwinden, sich dadurch stärker transversal zu positionieren und verlorene Fachlichkeit wiederzuerlangen. Zudem könnte durch eine Fondskonstruktion der Überjährigkeit des Engagements für Nachhaltigkeitsziele entsprochen und das ohnedies schwierige Management der Verpflichtungsermächtigungen (VE) abgelöst werden. Zudem würde vermieden, die noch nicht auf die Etats verteilten ressortübergreifenden Official Development Assistance (ODA)-Mittel ab 2018 in einem eigenständigen Titel der allgemeinen Finanzverwaltung zu „parken“. Nicht zuletzt wäre es möglich, damit auch die Differenz zwischen Inlands- und Auslandsgeschäft bei KfW oder GIZ aufzulösen und so die Potentiale eines whole-of-government-Handelns freizusetzen.

Im Rahmen einer solchen Reorganisation wären auch angelagerte Tätigkeiten neu zuzuordnen. So könnten die politischen Stiftungen mit ihren BMZ-finanzierten Programmen als Abteilung für politische Zusammenarbeit dem Auswärtigen Amt (AA) angegliedert und etwa die entwicklungspolitische Bildungsarbeit der Bundeszentrale für politische Bildung übertragen werden. Nur mit einem solchen Versuch, die EZ auf der Grundlage der SDGs organisatorisch neu zu ordnen, kann es gelingen, die Nachhaltigkeit wirklich voranzubringen.

Image: Günter Maihold

Günther Maihold ist stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und Professor an der Freien Universität Berlin.

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