Wissenschaftsnarrative als weltschaffende Praktiken: Meeresspiegelveränderung in Singapur

Photo: Coast of Singapore

© Hornidge, 2017, Singapore

In dieser Newsletter-Ausgabe möchten wir die Vorstellung der Forschungsprojekte der Direktorin des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE), Prof. Dr. Anna-Katharina Hornidge, fortsetzen.

Das dritte Projekt dieser Reihe, „Wissenschaftsnarrative als weltschaffende Praktiken: Meeresspiegelveränderung in Singapur“, ist Teil des interdisziplinären Verbundprojektes Fiction Meets Science (FMS), gefördert durch die Volkswagenstiftung. Aus der Zusammenarbeit von Soziolog*innen und Literaturwissenschaftler*innen eröffnen sich neue Perspektiven hinsichtlich der Darstellung von Wissenschaft in fiktionalen sowie faktualen Narrativen. Gleichzeitig ergeben sich aus diesen Studien Einblicke in die internen Logiken wissenschaftlichen Arbeitens, als auch Erkenntnisse über dessen Platz und Bedeutung in der Gesellschaft. In der aktuellen Projektphase „FMS II: Varieties of Narrative“ liegt der Schwerpunkt auf der Untersuchung der globalen Dimensionen, der unterschiedlichen kulturellen wie regionalen Prägung des Wissenschaftskontextes und öffentlicher Diskurse, welche in die Aufbereitung von Wissenschaft einfließen. Darüber hinaus wird der Beitrag dieser Narrative in vielfältigen Genres und Medien zum öffentlichen Engagement und zu einer stärkeren gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Wissenschaft erforscht.

Indem das hier vorgestellte FMS-Teilprojekt das Thema Meeresspiegelveränderung in den Fokus rückt, weist es auch auf die Wichtigkeit des wachsenden Feldes der Marinen Sozialwissenschaften hin. Der dringende Bedarf an empirischer Forschung auf dem Gebiet der Ocean Governance und damit verbundener Schnittstellen zwischen Wissenschaft und Politik – hier durch die Untersuchung eines spezifischen Klimawandel-Diskurses in den Blick genommen – wird vor dem Hintergrund der im nächsten Jahr beginnenden UN-Dekade der Ozeanforschung besonders deutlich.

Die im letzten IPCC- Sonderbericht über die Ozeane und die Kryosphäre in einem sich wandelnden Klima (SROCC) beschriebenen schwerwiegenden Folgen der weltweiten Klimaveränderung sind omnipräsent. Singapur ist bereits von mehreren Auswirkungen betroffen. Als kleiner, aber bevölkerungsreicher und niedrig liegender Insel- und Stadtstaat ist es allerdings vor allem durch den Anstieg des mittleren globalen Meeresspiegels in hohem Maße gefährdet, und zudem als tropischer Hotspot vom Schicksal des antarktischen Eisschildes abhängig. Um das Land vor Überflutungen und Küstenerosion zu schützen, baut die Regierung auf verschiedene Anpassungsmaßnahmen. So sind etwa 70-80% der Küstenlinie Singapurs durch Polder, massive Uferbefestigungen und Steindämme, oder mithilfe von naturbasierten Lösungen wie der Mangrovenaufforstung gesichert.

Die gravierende Bedrohung durch den Meeresspiegelanstieg infolge seiner geographischen Lage ist nur einer der vielfältigen Gründe, weshalb Singapur als Untersuchungsstandort für dieses Forschungsprojekt gewählt wurde. Es handelt sich vielmehr um eine ganz spezielle Zusammensetzung von Aspekten: Sein wirtschaftlicher Einfluss im und weit über den Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) hinaus, seine große technologische Innovationskraft, seine Entwicklung und sein Selbstverständnis als Weltstadt, sowie seine starke globale Vernetzung als weltweit größter Umschlaghafen. Diese Eigenschaften ziehen eine ganz eigene Herangehensweise und Argumentation in Bezug auf Singapurs Umweltmanagement angesichts zukünftiger Herausforderungen nach sich. Selbsterklärtes Ziel des Stadtstaates ist es, nicht weniger als eine internationale Führungsrolle im Bereich „green economy“ einzunehmen. Dieser Anspruch ist jedoch nicht frei von Widersprüchlichkeiten, bedenkt man etwa die kontroversen Praktiken beim Sandabbau zur fortlaufenden Landgewinnung oder die Tatsache, dass die CO2-Emissionen pro Kopf höher als in weitaus größeren Ländern sind, so dass der ökologische Fußabdruck Singapurs seine Biokapazität um ein Vielfaches übersteigt.

Photo: Harbour in Singapore

© Hornidge, 2017, Singapore

Im Bewusstsein der Notwendigkeit evidenzbasierter Klimapolitik hat die singapurische Regierung mehrere Aktionspläne (z.B. „SSB – Sustainable Singapore Blueprint“) und Informationskampagnen erarbeitet, um die Aufmerksamkeit der Bürger für den Klimawandel zu wecken. Lange Zeit war das Thema des steigenden Meeresspiegels im öffentlichen Diskurs wenig präsent, ist nun aber von höchster Priorität. Damit gehen hohe Investitionen in wissenschaftliche Forschungsprogramme einher, mit der Vorgabe, Singapur als klimatologischen Wissensstandort und -knotenpunkt in (Südost-) Asien zu etablieren, inklusive einer Wissenschaftsgemeinde auf lokaler Ebene mit gleichfalls lokal erhobenen Daten. Da das Land ein leistungsstarker und einflussreicher Akteur in der Region ist, werden die dort entwickelten sozio-technologischen Ansätze im Umgang mit den Folgen des Klimawandels zusätzliche Auswirkungen auf die benachbarten Länder haben.

Die Bilder und Deutungsmuster einer Zukunft, die durch Meeresspiegelveränderung gefährdet ist, sind ebenso wie diesbezügliche wissenschaftliche Erkenntnisse gewiss nicht an regionale Grenzen gebunden. Sie reisen in unterschiedlichen Formen von Wissenschaftsnarrativen und werden von globalen in lokale diskursive Kontexte übersetzt. Das Ergründen dieser Diskurse bringt Dynamiken und strukturelle Aspekte zum Vorschein, die ein besseres Verständnis von sozialen Wandlungsprozessen ermöglichen. Im konzeptionellen Rahmen von Wissenssoziologischer Diskursanalyse und ‘Multi-sited ethnography‘ ist das Ziel dieses Forschungsprojektes die qualitative Untersuchung, wie und in welchem Ausmaß diese Narrative in politische Aushandlungsprozesse in Singapur einfließen und sie leiten. Ihren Wegen vom öffentlichen in den politischen Bereich folgend, wird dabei gleichzeitig der Mobilisierung bestimmter argumentativer Tendenzen, Vorstellungen und sinnschaffender Handlungen nachgegangen. Adaptionen aus der Populärkultur, wissenschaftsjournalistische Aufarbeitung und Regierungsprogramme werden in diesem Sinne als Quellen analysiert, die an der Konstruktion des Diskurses bezüglich Meeresspiegelveränderung beteiligt sind und somit das Zusammenspiel einer Vielzahl von Akteuren abbilden.

 

Zeitrahmen: 3 Jahre                     Projekt: Beatrice Dippel